Zwischen Körpervertrauen und Idealisierung – meine Auseinandersetzung mit Ina May Gaskin und der Bewegung der „natürlichen Geburt“
Ich war überzeugt, dass Geburt gefährlich ist – bis ich lernte, meinem Körper zu vertrauen. Ein persönlicher, feministischer Blick auf Ina May Gaskin, Körperwissen und die Grenzen der „natürlichen Geburt“.
10/10/20252 min read
Ein persönlicher Einstieg
Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Geburt gefährlich ist – ein medizinischer Ausnahmezustand, der ärztliche Kontrolle und technische Überwachung braucht. In meiner Familie gab es nur Krankenhausgeburten, und auch ich kam unter Neonlicht und CTG zur Welt. Das war für mich lange die einzige Realität.
Erst viele Jahre später, durch Zufall, stieß ich auf Da a Luz, die Midwifery School in Andalusien. Dort erlebte ich eine völlig andere Perspektive auf Geburt – als physiologischen, selbstbestimmten und kraftvollen Prozess. Diese Erfahrung war herausfordernd, transformativ und manchmal überwältigend. Sie brachte mich dazu, meinen eigenen Körper – und die Körper anderer gebärender Menschen – neu zu begreifen.
Ina May Gaskin und das Versprechen der „natürlichen Geburt“
Die Bewegung der „natural birth“, wie sie von Ina May Gaskin geprägt wurde, hat weltweit Einfluss auf Hebammenarbeit, Geburtsvorbereitung und Körperwissen genommen. Gaskin vermittelte eine tiefe Überzeugung: dass Gebärende auf ihre Körper vertrauen können, dass Geburt kein medizinisches Risiko, sondern eine menschliche Fähigkeit ist.
Viele ihrer Texte und die Geschichten aus The Farm haben Generationen inspiriert – auch mich. Ich war fasziniert von diesem Vertrauen, von der Ruhe und Selbstverständlichkeit, mit der Gaskin über Geburt sprach. Es war, als würde sie eine Tür öffnen zu etwas, das ich intuitiv schon kannte, aber vergessen hatte.
Zwischen Empowerment und Ausschluss
Und doch: Je länger ich mich mit der Bewegung auseinandersetzte, desto deutlicher sah ich auch ihre Grenzen.
Gaskins Arbeit entstand in einem spezifischen, westlich geprägten Kontext – weiß, heteronormativ, körperlich normativ. Die Betonung auf „Weiblichkeit“ und „weiblicher Urkraft“ kann inspirierend sein, aber sie schließt Menschen aus, die nicht in dieses Bild passen: trans, inter, nicht-binäre oder queere Gebärende, Menschen mit Traumaerfahrungen oder solche, die sich aus medizinischen, psychischen oder sozialen Gründen für andere Geburtsformen entscheiden.
Wenn „natürliche Geburt“ zum Ideal wird, kann sie Druck erzeugen. Sie kann suggerieren, dass eine Geburt nur dann „richtig“ oder „vollständig“ ist, wenn sie ohne medizinische Unterstützung, ohne Schmerzmittel, ohne Intervention verläuft. Doch nicht jede Geburt ist sanft – und nicht jede muss es sein, um kraftvoll zu sein.
Kritik und kulturelle Verantwortung
Auch die Sprache um „Intuition“, „Weisheit“ oder „Ursprünglichkeit“ ist nicht neutral. In der Bewegung um natürliche Geburt tauchen häufig romantisierte oder kulturell entlehnte Bilder auf – etwa von „weisen Frauen“ oder „traditionellen Praktiken“, deren historische und koloniale Kontexte ausgeblendet bleiben.
Für mich bedeutet eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung, solche Quellen reflektiert, respektvoll und kontextbewusst einzubeziehen – ohne sie zu vereinnahmen oder zu idealisieren. Körperwissen ist vielfältig. Es gehört niemandem allein, und es braucht Sensibilität, wenn wir damit arbeiten.
Was bleibt – und was weiterführt
Trotz aller Kritik bleibt Gaskins Werk für mich ein wichtiger Bezugspunkt. Ihre Arbeit hat mir gezeigt, dass Geburt politisch ist. Dass Vertrauen in den Körper kein romantischer Rückzug ist, sondern eine Form von Widerstand gegen Strukturen, die Kontrolle über Körper und Entscheidungen ausüben.
Heute sehe ich die Bewegung der „natürlichen Geburt“ als Teil eines größeren Diskurses über Autonomie, Körperwissen und Selbstbestimmung – nicht als Dogma, sondern als Einladung. Eine Einladung, wieder zu fühlen, zu hinterfragen, zu verlernen.
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*juicy = Der Begriff kommt aus afro-diasporischen Communities und steht für Sinnlichkeit und Fülle – eine Einladung, Körperfreude jenseits von Leistungslogik zu leben.
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