„In einer Beziehung (mit wem eigentlich?)“ – über Beziehungsstatus, weibliche Sozialisation und das Lernen, sich selbst genug zu sein

Ich dachte, „Single“ sei ein Mangel. Heute weiß ich: Beziehung beginnt bei mir. Ein persönlicher Essay über weibliche Sozialisation, Beziehungsstatus und das Entlernen alter Narrative. Ein Text über Wut, Grenzen und die Rückeroberung unserer Stimme.

10/1/20253 min read

person reaching black heart cutout paper
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Ein persönlicher Anfang

Ich erinnere mich an diese eine Szene, die für mich sinnbildlich geworden ist:
Ich sitze als Teenagerin Anfang der 2000er vor dem Bildschirm, auf meiner ersten Social-Media-Plattform. Da steht es schwarz auf blau: Beziehungsstatus: Single.
Und jedes Mal, wenn ich es sah, zog sich etwas in mir zusammen.
Es war, als würde dieser kleine Satz nicht einfach nur meinen Status beschreiben – sondern meinen Wert.

Damals glaubte ich, dass „Single sein“ etwas war, das man möglichst schnell hinter sich bringen sollte. Eine Art Übergangsphase, bis „das Richtige“ kam.
Ich hatte gelernt, dass Frau-Sein oft bedeutet, gewählt zu werden, anstatt selbst zu wählen.

Weibliche Sozialisation und das Narrativ vom „Gefundenwerden“

Wer weiblich sozialisiert wurde, kennt das vermutlich:
Wir wachsen auf mit Geschichten, in denen Liebe etwas ist, das zu uns kommt, wenn wir liebenswert genug sind. Wir lernen, dass Beziehungen unser „Happy End“ sind – und dass das Ziel darin besteht, gesehen, begehrt, bestätigt zu werden.

Ob in Disney-Filmen, Bravo-Artikeln oder den Serien der 2000er – überall lag diese leise Botschaft in der Luft:

„Du bist vollständig, wenn dich jemand liebt.“

Diese Erzählung formt uns. Sie prägt, wie wir uns kleiden, wie wir flirten, wie wir auf Beziehungen blicken.
Und sie hinterlässt Spuren – auch dann, wenn wir längst wissen, dass unser Wert nicht an einer Beziehung hängt.

Das leere Feld – und was es wirklich sagt

Heute kann ich mit einem zarten Lächeln auf dieses „leere Feld“ von damals blicken.
Weil ich sehe, was es symbolisiert hat: nicht nur Einsamkeit, sondern gesellschaftliche Prägung.
Ein System, das weiblich sozialisierte Menschen über Beziehungen, Fürsorge und emotionale Verfügbarkeit definiert – während männlich sozialisierte Menschen oft über Erfolg, Leistung oder Unabhängigkeit validiert werden.

Beides sind starre Rollenerwartungen. Und beide entziehen uns die Möglichkeit, authentische Verbundenheit zu leben – jenseits von Status, Besitz oder Abhängigkeit.

Lernen, Beziehung neu zu denken

Heute frage ich mich:
Was, wenn Beziehung kein Status ist – sondern ein Zustand des Seins?
Eine Haltung von Verbundenheit – mit mir, mit anderen, mit dem Leben selbst.

Ich habe gelernt, dass ich in Beziehung bin, auch wenn ich allein bin.
In Beziehung zu meinem Körper. Zu meiner Lust. Zu meinen Freund*innen.
Zu den Stimmen, die mich geprägt haben – und zu denen, die ich heute selbst weitergebe.

Das war kein schneller, empowernder Prozess, sondern ein zartes, schmerzhaftes Entlernen.
Ein Abschied von dem Bedürfnis, „vollständig“ zu wirken – hin zu einem Vertrauen, dass ich es längst bin. Ich war 24 Jahre "single".

Eine neue Definition von Liebe

Ich sehe Liebe heute nicht mehr als Belohnung, sondern als Praxis.
Als etwas, das ich kultiviere – nicht nur mit einem anderen Menschen, sondern mit mir selbst.

Das bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen: für meine Grenzen, meine Wünsche, meine Sehnsüchte.
Und zu verstehen, dass romantische Beziehungen nur eine von vielen Formen von Intimität sind.

Ich wünsche mir eine Kultur, in der Selbstliebe nicht als Ersatz, sondern als Grundlage für Beziehung gesehen wird.
Eine, in der wir nicht „auf jemanden warten“, sondern gemeinsam Räume schaffen, in denen alle wachsen dürfen – unabhängig von Beziehungsstatus, Gender oder Norm.

Zum Weiterdenken

Vielleicht magst du dir einen Moment Zeit nehmen und dich fragen:
Wie bist du mit der Idee aufgewachsen, was Liebe bedeutet?
Welche Geschichten, Lieder, Filme oder Vorbilder haben dir beigebracht, wie „Beziehung“ auszusehen hat – und welche möchtest du heute selbst schreiben?

Es ist kein einfacher Weg, sich von alten Erzählungen zu lösen. Aber jeder kleine Moment, in dem du dich selbst wählst, ist ein stiller Akt der Befreiung.
Und vielleicht beginnt genau dort eine neue Form von Beziehung – zu dir, zu anderen, zum Leben selbst.

Meine Inspiration zum Artikel und zum Weiterlesen für dich:

  • Das Ende der Ehe - Emilia Roig

  • Die Wolfsfrau - Clarissa Pinkola Estés

  • Alles über Liebe - Bell Hooks